KI und die Skills der Zukunft

Ricardo dos Santos Miquelino
June 10, 2025
KI und die Skills der Zukunft

Chancen, Risiken und die neue Bedeutung von Skills

Die rasante Entwicklung der Künstlichen Intelligenz (KI), insbesondere der generativen KI, markiert einen tiefgreifenden Wandel für Wirtschaft und Arbeitsmarkt. Künstliche Intelligenz wird daher oft mit historischen Innovationen wie der Dampfmaschine oder der Elektrizität verglichen, da sie das Potenzial hat, unsere Produktivität erheblich zu steigern. Doch mit diesem Potenzial gehen sowohl beispiellose Chancen als auch gravierende Risiken einher.

Ambivalenz und makroökonomische Treiber

Aktuell steht der Arbeitsmarkt vor einer Ambivalenz: Steigende Arbeitslosenzahlen treffen auf einen Fachkräftemangel, der durch den demografischen Wandel verschärft wird. Die Fähigkeiten der Arbeitssuchenden passen oft nicht zu den von Unternehmen gesuchten Kompetenzen. Der demografische Wandel dämpft die Auswirkungen der schlechten Wirtschaftslage auf den Arbeitsmarkt teilweise ab. Länder wie Deutschland, die demografisch zu kämpfen haben, sollten KI besonders begrüßen, da sie als Teil der Lösung für den Fachkräftemangel betrachtet wird.

Neben demografischen Verschiebungen beeinflussen weitere Makrotrends den globalen Arbeitsmarkt bis 2030, darunter allgemein die technologischen Veränderungen, der Übergang zu einer nachhaltigeren Wirtschaft, wirtschaftliche Unsicherheit (insbesondere der globale Handel) und geoökonomische Fragmentierung. Diese Faktoren zusammen führen bereits zu einer Transformation, die sowohl Jobs als auch erforderliche Fähigkeiten neu gestaltet.

Der Einfluss von KI auf Jobs: Wandel statt totaler Vernichtung?

Die Befürchtung, dass KI zu Massenarbeitslosigkeit führt, ist präsent. Eine Analyse zeigt, dass pro Prozentpunkt Anstieg des Automatisierungspotenzials in einem Sektor durchschnittlich etwa 15.000 Arbeitsplätze gefährdet sind, besonders in der Kreativwirtschaft. Studien zufolge könnten generative KI-Tools in den nächsten fünf Jahren die Hälfte der Einstiegsarbeitsplätze vernichten. Unternehmen wie Microsoft und Shopify haben im Zuge der KI-Integration Stellen abgebaut, darunter auch hochqualifizierte Rollen wie Softwareentwickler und Produktmanager.

Global werden bis 2030 voraussichtlich 170 Millionen neue Jobs entstehen, während 92 Millionen bestehende Jobs wegfallen, was zu einem Nettozuwachs von 78 Millionen Arbeitsplätzen führt. Dies stellt einen erheblichen strukturellen Wandel dar. Obwohl die Zahl der Arbeitsplätze in KI-exponierten Berufen wächst, tun sie dies langsamer als in weniger exponierten Berufen. Wichtige Jobs, die voraussichtlich stark wachsen werden, sind unter anderem KI- und Machine Learning-Spezialisten, Datenanalysten und -wissenschaftler sowie Big Data-Spezialisten. Gleichzeitig wird ein Rückgang der Bedeutung bestimmter Tätigkeiten erwartet, wie zum Beispiel bei Sachbearbeitern für Datenerfassung, Kassierern oder auch Rechtsanwalts- und Sekretariatskräften.

Die beschleunigte Evolution der Skills

KI verändert die Arbeitswelt nicht nur durch die Verschiebung von Jobprofilen, sondern auch durch eine dramatische Beschleunigung der benötigten Skills. In Berufen, die stark KI ausgesetzt sind, ändern sich die von Arbeitgebern gesuchten Fähigkeiten 66 % schneller als in weniger exponierten Berufen. Arbeitgeber gehen davon aus, dass sich bis 2030 39 % der Kernkompetenzen der Arbeitnehmer ändern werden.

Die am schnellsten wachsenden Skills sind technologische Fähigkeiten wie KI und Big Data, Netzwerke und Cybersicherheit sowie technologische Grundkenntnisse. Aber auch menschlich-zentrierte und psychologische Kompetenzen gewinnen stark an Bedeutung. Dazu gehören kreatives Denken, Resilienz, Flexibilität und Agilität, Neugier und lebenslanges Lernen, Führungsqualitäten und sozialer Einfluss. Diese Fähigkeiten werden als entscheidend angesehen, um in einer zunehmend von Technologie geprägten Arbeitswelt erfolgreich zu sein und die Möglichkeiten der KI zur Augmentierung menschlicher Arbeit zu nutzen.

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Der Wandel weg von formalen Abschlüssen

Ein weiterer Trend ist die abnehmende Nachfrage nach formalen Bildungsabschlüssen, insbesondere in automatisierbaren Jobs. Dies eröffnet neue Chancen für Quereinsteiger und betont die Bedeutung aktueller, praktischer Fähigkeiten über traditionelle Zeugnisse.

Herausforderungen und Lösungsansätze

Die Transformation birgt erhebliche Herausforderungen, allen voran die Qualifikationslücke (Skills Gaps). Viele Menschen unterschätzen das tatsächliche Risiko des Arbeitsplatzverlusts durch KI ("unrealistischer Optimismus"). Ethische Bedenken hinsichtlich Diskriminierung und Urheberrecht bleiben bestehen.

Um diesen Herausforderungen zu begegnen, sind gezielte Weiterbildungs- und Umschulungsprogramme unerlässlich. Unternehmen investieren zunehmend in die Schulung ihrer Mitarbeiter. Öffentliche Unterstützung bei der Finanzierung und Bereitstellung dieser Programme wird von Arbeitgebern als sehr hilfreich angesehen. Auch die politische Flankierung durch verbesserte Einwanderungsgesetze und schnellere Anerkennung ausländischer Berufsabschlüsse ist entscheidend, um den Fachkräftemangel zu adressieren. Darüber hinaus gibt es in Deutschland erhebliches Potenzial bei migrantischen Frauen und Frauen in Teilzeit, deren ungenutzte Arbeitskraft durch bessere Kinderbetreuung und steuerliche Anreize gehoben werden könnte. Ältere Arbeitskräfte, die über das Rentenalter hinaus arbeiten, stellen ebenfalls ein schnelles Potenzial dar, wenn Jobs altersgerecht gestaltet werden.

Wichtig ist auch, den psychologischen Aspekt der Arbeitswelt von morgen zu berücksichtigen. Kernkompetenzen wie Kreativität oder Resilienz erfordern eine "innere Ökonomie" des Individuums, die mentale Entlastung, Selbstwahrnehmung und emotionale Regulation braucht. Unternehmen müssen nicht nur über Skills reden, sondern auch die psychischen Bedingungen schaffen, die diese ermöglichen.

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Fazit

Die Transformation durch KI ist komplex und facettenreich. KI allein wird den Fachkräftemangel nicht lösen. Sie ist ein starker Produktivitätstreiber, der die Arbeitswelt grundlegend verändert und sowohl Jobs verlagert als auch neue schafft. Der Schlüssel zur erfolgreichen Navigation dieses Wandels liegt in der proaktiven Anpassung von Arbeitnehmern, Unternehmen und Politik. Investitionen in technologische und menschlich-psychologische Skills, flexible Arbeitsmodelle, verbesserte Zuwanderungsprozesse qualifizierter Fachkräfte und die Schaffung mentaler Infrastruktur in Organisationen sind entscheidend, um die Chancen der KI zu nutzen, Risiken zu minimieren und eine gerechte Zukunft der Arbeit für alle zu gestalten. Die Zukunft der Arbeit ist formbar, aber sie wird nicht von allein passieren und gerecht sein.

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